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Die Trigger lauern überall
Traumaberater Christian Röhrer weiß, warum der Umgang mit traumatisierten Menschen besondere Aufmerksamkeit braucht. Der Verein „Menschen kommen an e.V.“ hat den Experten zu einem Vortrag nach Gärtringen eingeladen.
Seit mehr als fünf Jahren arbeitet Christian Röhrer für die Seehaus Opfer- und Traumaberatung. Der systemische Familientherapeut und traumazentrierte Fachberater weiß, welche Folgen Traumata für Menschen haben. Die Erlebnisse von Gewalt, Verfolgung, Missbrauch, Folter, Zwangsprostitution, Krieg oder Flucht belasten viele Opfer ein Leben lang. Doch es gibt Möglichkeiten zu helfen. Wichtig ist Aufklärung, denn traumatisierte Erwachsene, Jugendliche und Kinder verhalten sich oftmals anders, als es Betreuer*innen, Vorgesetzte, Kollegen*innen, Lehrer*innen oder Erzieher*innen erwarten. Auf Einladung des Vereins Menschen kommen an e.V. kam Christian Röhrer am 8. Dezember zu einem Vortrag zum Thema „Trauma: Der nie enden wollende Schrecken“ in die Villa Schwalbenhof nach Gärtringen.
Verein hat Trauma-Projekt angestoßen
„Wir beschäftigen uns in den kommenden zwei Jahren gezielt mit dem Thema Trauma, da wir merken, dass das für Geflüchtete und ihre Familien immer mitschwingt“, beschreibt die Vorsitzende des Vereins, Bettina Schumacher, das vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln geförderte Projekt, für das der Vortrag die Auftaktveranstaltung war.
Geflüchtete betroffen
Oft fällt die Störung zunächst gar nicht auf. Die Menschen kommen an, lernen die Sprache, beginnen eine Ausbildung, nehmen einen Job an und verlieren dann plötzlich die Kontrolle. Gerade bei komplexen Traumastörungen kommen die Folgen oft erst nach einer gewissen Zeit zum Vorschein, erklärt Traumatherapeut Röhrer und grenzt die medizinische Diagnose von der umgangssprachlichen Verwendung des Begriffs ab: „Traumata werden hervorgerufen durch Situationen außergewöhnlicher Bedrohung und/oder katastrophalen Ausmaßes, die eine tiefe Verzweiflung hervorrufen“, zitiert er eine in Fachkreisen anerkannte Trauma-Definition. Erlebten Menschen solche Situationen, aus denen sie weder fliehen, noch sich ihrer erwehren können, kommt es zu Kontrollverlust, Überwältigung, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Todesangst, Panik, Erstarren und Dissoziation. Auch Dissoziation, die Abspaltung von Gedanken, Gefühlen, Körperempfindungen oder Handlungen, ist eine Möglichkeit, traumatische Situation zu überstehen, wenn das Gehirn in den Überlebensmodus schaltet.
Das Erlebte kommt ständig wieder
Trigger, das heißt äußere Reize, wie Gerüche, Farben, Geräusche, optische Ähnlichkeiten von Personen oder Situationen führen dazu, dass Traumata immer wieder erinnert und erneut durchlebt werden. „Die Menschen erleben die Situation dann als genauso bedrohlich, obwohl sie längst in Sicherheit sind“, erklärt Röhrer. Aufgabe der Beratung sei es, die Attacken möglichst zu stoppen, die Häufigkeit zu reduzieren, die Kontrolle zurückzuerlangen, im Alltag zurechtzukommen und sich besser zu fühlen.
„Äußere Sicherheit ist für traumatisierte Menschen das oberste Gebot“, erklärt Röhrer, warum beengte Wohnverhältnisse, fehlende Rückzugsmöglichkeiten oder Stress im häuslichen Umfeld für Geflüchtete oft so problematisch sind. „Hier braucht es von Seiten offizieller Stellen ein gutes Verständnis dafür, dass manche Situationen für traumatisierte Menschen tatsächlich nicht auszuhalten sind“, ergänzt er. So sei zum Beispiel für traumatisierte Kinder oft eine feste Sitzordnung in der Klasse wichtig. Sei der Banknachbar immer wieder neu, würden die Kinder sonst aufgrund früherer Erlebnisse ggf. immer wieder abschätzen müssen, wie „gefährlich“ der neue Nebensitzer sei.
Kein Trauma-Talk!
Was können Kontaktpersonen tun? „Kein Trauma-Talk!“, lautet Röhrers strikte Empfehlung. „Es hilft niemandem, wenn er im Gespräch ständig wieder in die belastende Situation gezogen wird.“ Stattdessen ginge es für die Betroffenen darum, ihre Ressourcen zu stärken. Also: Welche Talente und Fähigkeiten bringt der Mensch mit, was hat er im Leben bereits geschafft, worin ist er gut, wie und wo kann er sich einbringen, woran hat er Freude?
Zur Selbstfürsorge ermuntern
„Viele stecken im Überlebensmodus fest“, erklärt der Traumaberater, „was sie daran hindert ihr Leben aktiv zu gestalten.“ Umso wichtiger seien ein stabiles Umfeld, verlässliche Bezugspersonen, ein konsequent zugewandtes Verhalten und Selbstfürsorge. „Unterstützen Sie, statt retten zu wollen“, empfiehlt Christian Röhrer eine Haltung, die dafür sorgt, dass aus dem Engagement für traumatisierte Menschen keine Selbstausbeutung wird. Hilfe zur Selbsthilfe erscheint demnach auch im Fall von Traumata das beste Konzept.
Finanziert durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat.